Drachen und die Frage nach der Anzahl der Beine
Wie versprochen gehen wir heute der Frage auf den Grund: Haben Drachen vier oder zwei Beine?
Ist es euch schon einmal aufgefallen? In Kinofilmen wie Dragonheart (1996) und Eragon (2005) tauchen Drachen auf, die neben einem paar Flügel und den zwei Hinterläufen noch zwei Vorderläufe besitzen. Sie haben also insgesamt sechs Gliedmaßen. Schon 2002 sind im Film Herrschaft des Feuers Drachen zu sehen, denen die Vorderbeine allerdings fehlen.
Im Allgemeinen fällt auf, dass Drachen in neueren Verfilmungen meist ohne Vorderbeine gezeigt werden, also mit insgesamt vier Gliedmaßen. Dies ist z.B. in den Filmen Harry Potter und der Feuerkelch, Game of Thrones und Herr der Ringe - Smaugs Einöde der Fall. Eine Ausnahme bilden Kinderfilme, in denen bis heute die vierbeinigen Drachen dominieren.
Aber warum entscheiden sich Filmemacher für die zweibeinige Version?
Dafür müssen wir etwas ausholen und einen Blick auf alte Darstellungen werfen:
Das alte China
Drachen nehmen in Asien, speziell in China, eine große kulturellen Rolle ein. Sie sind nicht nur Sternzeichen, sondern auch mystisches Fabelwesen und Volksfeste, wie das Drachenbootfest, sind ihnen gewidmet. In traditionellen Darstellungen finden wir meist Drachen mit langem, schlangenähnlichem Körper, Fischschuppen und vier Adlerbeinen mit Klauen. Es fehlen die Flügel. Die Drachen haben demnach vier Gliedmaßen aus zwei Vorder- und zwei Hinterbeinen.
Der Antwort unserer Frage kommen wir damit aber immer noch nicht näher, daher werfen wir einen Blick nach Mitteleuropa.
Drachen in der antiken Mythologie und im Mittelalter
Auch hier treffen wir auf schlangenähnliche Mischwesen. Die Drachen haben in der Antike mindestens drei Köpfe z.B. von einem Krokodil, Wolf oder einer Raubkatze. Die Beine gleichen denen eines Adlers oder einer Raubkatze. Meist sind es vier oder aber nur zwei Beine (Wyvern). Manche Drachen ähneln Schlangen so sehr, dass sie zwar Flügel besitzen, aber Beine gänzlich fehlen.
Unter Einfluss des Christentum verstärkte sich, im Gegensatz zur positiven Deutungen in Asien, das Verständnis des Drachen als Wesen des Bösen. Feuerspeiend und giftig, wird er in christlich geprägten Darstellungen mit Dämonen und dem Teufel gleichgesetzt.
Bei den Germanen gab es dagegen den Lindwurm, auch er war schlangenartig und hatte meist zwei Beine, vier Beine kamen aber ebenfalls vor. Flügel fehlten oder waren sehr klein.
Die Wikinger kannten einen Drachen namens Nidhöggr. Eindeutige Beschreibungen seines Aussehens wurden nicht überliefert. In einigen Überlieferungen nagt er am Weltenbaum und schwächt diesen, in anderen taucht er während Ragnarök auf.
Wir können also zusammenfassen, dass auch in früheren Kulturen kein eindeutiger Typus beschrieben wurde. Einzig die Ähnlichkeit mit Schlangen und ein geschuppter Körper sind fast konsistent in allen Schilderungen vorhanden.
Wer könnte uns also bei unserer Frage weiterhelfen?
Genau! Die Biologie. Wenn sich schon unsere Vorfahren nicht einig waren, so können wir einmal einen Blick darauf werfen, was uns die Tierwelt verrät.
Welche Merkmale hätte ein Drache, wenn ihn die Evolution hervorgebracht hätte?
Dafür werfen wir einmal einen Blick auf die Tiere unserer Zeit. Das Krokodil, die Schlange und im Prinzip alle anderen Reptilien, haben mit dem Drachen die größte Ähnlichkeit. Ihnen fehlt zwar das Vermögen Feuer zu speien und zu fliegen, dafür fällt eines ganz deutlich ins Auge: Sie alle haben vier Beine.
Ist das also die Lösung des Rätsels? Leider nein, denn wir sind uns alle einig: Ein Drache ohne Flügel ist nichts.
Reptilien gehören zu den ältesten Lebewesen des Planeten und solche, wie Krokodil und Schildkröte, haben ihren Grundbauplan seit der Zeit der Dinosaurier nicht geändert. Finden wir womöglich in dieser Zeit unsere Antwort?
Und tatsächlich, fliegende schuppig Wesen, am bekanntesten von ihnen sind Flugsaurier, gab es damals in verschiedenen Größen, mit und ohne Federn. Geben wir aber einmal Flugsaurier in Google ein, so sehen wir ausschließlich solche Tiere mit zwei Hinterbeinen neben einem Paar Flügel. Auch die Vorfahren der heutigen Vögel und die Vögel selbst haben keine Vorderbeine. Sie alle besitzen exakt vier Gliedmaßen.
Um das genauer zu verstehen, müssen wir in eine Zeit zurück gehen, in der es noch keine Dinosaurier gab. Eine Zeit, als die Tiere das Wasser verließen und ihre ersten Schritte an Land taten. Und tatsächlich! Die gemeinsamen Vorfahren der Vögel, Säugetiere, Menschen, Amphibien und Dinosaurier hatte einst auch nur vier Gliedmaßen. Im Laufe der Zeit haben einige Vorfahren diese teilweise oder gänzlich verloren (Schlangen), aber es sind den sogenannten Tetrapoda (Vierfüßern) nie weitere Beinpaare gewachsen. Was aber passiert ist, ist dass einige ihre Vorderbeine zu Flügeln umfunktionierten. Dies waren z.B. die Flugsaurier, die Vögel oder als einzige Vetreter der Säugetiere, die Fledertiere (Flughunde, Fledermäuse).
Tiere mit mehr Beinen gibt es natürlich auch, sogar einige sehr komplexe, intelligente Wirbellose wie die Kraken, die zu den Octapoda (Achtfüßern) gehören. Außerdem kennen wir Insekten mit sechs Beinen und Spinnentiere mit acht Beinen.
Was lässt sich nun also im Hinblick auf Drachen festhalten?
Von seiner historischen Beschreibung ausgehend ist der Drache ein höher entwickeltes Wirbeltier. Alle tierischen Merkmale, die man in diesem Mischwesen gegeben hat, gehören zu denen der Tetrapoda (bis auf das Feuerspeien 😉, dass es wirklich nur bei Fabelwesen gibt). Unser Drache sollte daher am sinnvollsten nur zwei Hinterbeine und zwei Flügel besitzen.
Aber es gibt einen noch viel überzeugenderen Grund, warum ein realistischer Drache keine Vorderbeine haben sollte. Um Flügel zu bewegen und einen Körper in die Lüfter zu heben, braucht es enorme Kraft und die kommt von enormen Muskeln. Die größten Muskeln der Vögel sind die Flugmuskeln, die im Brust- und Schulterbereich sitzen. Denken wir an ein Haushuhn fällt direkt auf, welchen großen Anteil diese Muskeln an der Körpergesamtmasse haben. Und das bei einem Tier, dass kaum Gewicht und viel Luft in den Knochen hat. Auch Flugsaurier waren ähnlich gebaut. Ein Drache, der eine gewisse Größe haben soll, braucht also erheblich mehr Muskeln. Für die, für die Vorderbeine nötigen, Muskeln ist schlicht einfach kein Platz übrig.
Es fehlt zudem das passende zweite Schultergelenk. An einer Schulter ist Platz für je eine Gliedmaße und es ist fraglich, ob irgendwo anders am Körper noch Platz für zwei weitere wäre.
Aber ihr findet vier Beine schöner?
Kein Problem, ich auch! Und wer schreibt ist immer im Vorteil: Niemand sieht, dass der dicke Vierbeiner nur hübsch aussieht und in real gar nicht fliegen könnte. 😉 Erst wenn euer Roman verfilmt wird, gibt es vielleicht den einen oder anderen Grafiker, der davon nicht so begeistert sein wird.
Und was ist eigentlich mit Insekten und Feen?
Ja richtig, Fluginsekten haben zarte Flügel und keine großen Muskelpakete. Wären Feen mit ihren zarten Libellen- und Schmetterlingsflügeln daher womöglich doch realistisch?
Darauf werde ich in einem der nächsten Beiträge eingehen. Ich freue mich euch auch dann als Leser auf meinem Blog willkommen zu heißen.
Hier geht es zum nächsten Beitrag und zur Frage, ob es Einhörner wirklich gab oder geben könnte.
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