Reisestart und magisches Gesellenstück
2 Reisestart und magisches Gesellenstück
Frau Meier brachte einen riesigen Kessel Lapskaus mit den Worten auf den Tisch: „Langen Sie man alle kräftig zu.“ Kaptein Klarsehn ergänzte: „Das ist das letzte vernünftige Essen für lange Zeit, vielleicht unsere Henkersmahlzeit, falls wir auf der Reise sterben. Ab Morgen gibt’s Astronautennahrung.“
Bei dieser Aussicht ließ ich mich nicht lange bitten und verschlang drei Füllungen meines tiefen Tellers jener Mantsche, die so unästhetisch aussieht und vielen Norddeutschen wie mir so lecker schmeckt. Lapskaus, der Brei aus gewolften Resten von: Schweinebraten, Kassler und Hering mit Kartoffeln und Roter Beete, wird mit einem Spiegelei und einer großen, sauren Gurke pro Portion gereicht. Zu jeder Portion gab es einen halben Liter norddeutsches Bier und einen Doppelkorn.
Alle griffen beherzt zu. Schulamid aber hatte etwas Mühe, ihre religiösen Skrupel zurückzudrängen. Es siegten Hunger und das Verlangen nach irdischer Nahrung. Ihr gewissen beruhigte sie mit dem Hinweis darauf, dass sie eine liberale Jüdin und zu Gast bei einem „Fremden“ sei, für den die Speisegebote der Thora nicht gelten.
Beim Essen, das sich über drei Stunden hinzog, stellten wir einander ausführlich vor. Ich war erstaunt, wer hier alles mit von der Partie war.
Adolf Abel begann: „Ich bin Diplomingenieur, Tüftler und Erfinder. Nach den Angaben im Kinderbuch: ‚Tschitti-Tschitti-Bäng-Bäng‘ habe ich ein kleines Modell zusammengebaut, das mit Sonnenenergie fahren, schwimmen und fliegen kann. Das habe ich mehreren Spielzeugfirmen angeboten, aber nur eine hat mich nach Düsseldorf eingeladen — zur Karnevalsveranstaltung der Mitarbeitenden. Als ich zeigte, was es konnte, hat mir einer aus dem mittleren Management gesagt: ‚Sie können nicht erwarten, dass wir das produzieren.‘ — Für die Entenpreis hab' ich viele Sachen getüftelt, die sich auf unserer ersten Reise als nützlich erwiesen haben. Inzwischen arbeite ich an einer Zentrifuge für das Nüchternbier, die mit minimalen Mengen Sternenlicht betrieben werden kann. Wenn das Ding wird, wie ich will, werden wir bald Nüchternrum schlucken können.“
Nun kam Elisabeth Bruns an die Reihe: „Ich bin ausgebildete Astronautin und Hobbytaucherin. Ich habe ein Jahr für NFI gearbeitet, also „Nature for Itself‘. Vor einem Jahr trat vor der Küste Grönlands stark ätzende Flüssigkeit aus. Ich sollte erkunden und dokumentieren, was es damit auf sich hatte. Mit einem extra sicheren Taucheranzug schlug ich mich durch das Eis und tauchte darunter hindurch. Dabei stellte sich heraus, dass es sich um Galvanisierungsabfälle handelte. Diese wurden völlig ungefiltert ins Meer verklappt. Ich photographierte, was ich sah,und sicherte die Kamera. Währenddessen hatte sich ein Stück Eis über mir gelöst, mit seiner scharfen Kante den Anzug aufgeschnitten und den Rücken verletzt. Fünf Minuten lang trieb mein Leib im verseuchten Wasser. In dieser Zeit entstanden die informativsten Aufnahmen, und meine Haut löste sich auf. Als sie merkten, dass ich nicht ansprechbar war, holten sie mich mit Greifern heraus und hielten mich für tot. Doch war noch Leben in mir. Meine Haut wurde zu über 60 % verätzt, und beim Heilen haben viele Nerven ihre Sinneszellen verloren, so dass meine natürliche Haut fast nur noch Schmerz spürt. Dabei sehe ich so vernarbt aus, dass ich immer verhüllt gehen muss, um den anderen meinen Anblick zu ersparen. NFI zahlte die Behandlung und gibt mir eine Invalidenpension. Aber, wer will schon mit 30 Jahren zum Alten Eisen gehören und überhaupt keine Lust mehr im Leben haben? — Ich jedenfalls nicht. Hier bin ich die einzige voll ausgebildete Astronautin und kann alle anderen anlernen. Soweit meine körperliche Verfassung das zulässt, werde ich im Weltraum arbeiten, vielleicht sogar außerhalb des Raumschiffes.“
Eric Bronswig war der nächste: „Jetzt kann ich es ja sagen: Ich bin Waffenexperte und arbeite für den CIA. Auch ich bin Ingenieur und habe U-Boote gebaut und mit Waffen bestückt. Die Raumfahrt hat mich lange interessiert, und daher habe ich mich gern für die Crew der Entenpreis beworben. Waffen sind mein Beruf und meine Leidenschaft. Dabei ist es mir egal, ob es sich um Atomwaffen oder Steinzeitgeräte handelt, Hauptsache, man kann damit killen. Der CIA ist auf die Entenpreis aufmerksam geworden, als sich Mossad dafür zu interessieren begann. Wir wissen nicht, ob Mossad hier vertreten ist, aber wir nehmen es an.“
Darauf meldete sich Schulamid Schlemil, die nach dem Alphabet noch nicht an der Reihe war: „Der CIA ist besser als wir dachten. Ich arbeite für Mossad, verstehe mich aber auf Informatik und Mathematik; beides habe ich an der Universität Tel Avif studiert. Ich wurde nicht beauftragt, jemanden zu liquidieren; das tun gute Geheimdienste so gut wie nie. Mich hat Mossad beauftragt, Freunde des Volkes Israel zu suchen und, falls ich hoffnungsvolle Kandidatinnen oder Kandidaten finde, diese auf Herz und Nieren zu überprüfen. Feinde hat Israel überall, die feindlich gesinnten Staaten sind bekannt, und manche Personen sagen es von sich, egal, wo sie leben. Aber Freunde, Leute, auf die man sich im Notfall verlassen kann, selbst wenn sie mit dem einen oder anderen im Staat nicht einverstanden sein mögen, die müssen wir suchen und prüfen. Und dazu bin ich hier, denn das Volk Israel braucht Freunde.“
Nun ging’s im Alphabet weiter mit Gerd Holzhauer: „Ich bin ein Mann mit Trisomie 21. Ich kann etwas Lesen und schreiben. Und ich Kann Dinge zusammensetzen. Dazu muss ich die Teile sehen und anfassen. Wenn was fehlt, merk ich, was und kann es selber machen. Ich war bei einem Uhrmacher für mechanische Uhren im Praktikum. Der hat nicht geglaubt, dass ich was kann. Aber ich hab viele Uhren wieder zusammengesetzt und Einzelteile hergestellt.“
„Und wie kamst Du auf die Entenpreis?“, fragte Schulamid. Gerd antwortete: „‚John‘ hat mich kennen gelernt. Ich wollte was anderes machen als in einer Werkstatt für Behinderte. Da hab ich mich auf seinen Kreuzer als blinder Passagier geschmuggelt und ihm gesagt: ‚Ich will hier auf See arbeiten.‘ Er hat mich als Kajüten-junge eingestellt. Und dann war seine Uhr kaputt. Die hab ich ihm heil gemacht. Da wurde ich Leichtmatrose und später Matrose. ‚John‘ sagt oft: ‚Du bist ein Ass im Ärmel.‘“
Gitte Huhn setzte fort: „Ich habe Physik in Harvard studiert und war mit dem akademischen Betrieb unzufrieden. Immer nur gucken, was die einflussreichen Professoren machen, und etwas finden, das die so noch nicht gemacht hatten, aber zu dem passt, was sie erforschten. Ich wollte frei sein und auf dem Gebiet der Antimaterie forschen. ‚John‘ hat mich auf einer Kreuzfahrt kennengelernt und seinen Urlaub genommen, um mit mir eine Woche in der Koje zu verbringen. Danach hat er mir auf dem Kreuzfahrtschiff ein kleines Labor eingerichtet, wo ich nach Lust und Laune experimentiere. Dabei habe ich den Anti-Alkohol entdeckt, den brauchen wir für unseren überlichtschnellen Antrieb.“
Der Kaptain wollte die Reihe beenden und futterte noch an seiner fünften Gurke. Lapskaus war seine Lieblingsspeise, und die würde er die nächste Zeit nicht mehr bekommen. Also setzte Inge Selgen, der erste Offizier, die Vorstellungsreihe fort:
„Ich bin Chemikerin, Medizinerin, Historikerin und Natur-Philosophin. Erst arbeitete ich im Bundeswehrkrankenhaus Hannover als Ärztin im Praktikum, aber statt Zeit zu haben, um mit den Patientinnen und Patienten zu beratschlagen, wie sie sich ein gesundes und glückliches Leben verschaffen können, musste ich im Akkord Patienten Abfrühstücken. Danach war ich als Marineoffizier und Schiffsärztin tätig. Dabei habe ich Gitte und ‚John‘ kennengelernt, die damals schon ein Liebespaar waren. Gitte hat mir ihre Experimente auf dem Gebiet der Antimaterie gezeigt, die mich brennend interessierten. Bald arbeiteten wir zusammen. Wir haben das Nüchternbier entdeckt, das wir für den überlichtschnellen Antrieb vor drei Jahren ausprobiert haben, und nun in verbesserter Form für den zweiten Siriusflug benutzen.“
Anti-Alkohol und Nüchternbier interessierten mich nicht; mich faszinierten alle Mitglieder der Crew, vor allem Inge, an deren Stimme ich mich nicht satthören konnte. Offensichtlich hatte ich mich in diese verliebt.
Schließlich sprach der Kaptein Johannes Klasen: „Meine Eltern leiteten die Klasen-Rederei, die ihnen gehörte. Wir waren Milliardäre. Seit ich 16 Jahre alt war, verspielte ich Millionenweise Geld: am Automaten, am Roulettetisch,auf der Pferderennbahn oder bei Segelregatten. Man steckte mich mit 17 in eine Psychotherapeutische Klinik. Dort erkannte ich, dass ich nicht leben wollte wie meine Eltern. Seitdem nenne ich mich: ‚John Klarsehn.‘ Nach dem Abitur ging ich zur Marine und ließ das Spielen sein. Ein Brand beim ‚Escott Race‘ hat mir die Eltern und den Bruder genommen, die dabei zuschauten und drei der acht Unfallopfer wurden. Ich war währenddessen mit Gitte in der Koje und schipperte vor Tahiti. Meine Onkel zahlten mich aus; ich bekam 20 Millionen Euro, die Große Freiheit, mein extra für mich gebautes, großes Kreuzfahrschiff, auf dem ich tun und lassen konnte, was ich wollte, und die Möglichkeit, alle Einrichtungen der Familien-Reederei mein Leben lang kostenfrei zu nutzen, beispielsweise, mein Schiff an ihren Anlegestellen zu betanken. Hier habe ich Partys oder lange Kreuzfahrten veranstaltet und Wissenschaftlern die Möglichkeit verschafft, nach ihren Launen zu forschen. Dabei habe ich mit dem CIA zusammengearbeitet, der auf meinem Schiff manches entwickeln ließ, und Eric kennen gelernt. Gitte hat dort den Anti-Alkohol entdeckt und Inge die Möglichkeit, den in größeren Mengen herzustellen. Obwohl ich viel Geld ausgab, konnte ich einiges sparen und hatte ein Vermögen von 25 Millionen, als ich über ein Raumschiff nachdachte, mit dem man zu den Sternen reisen konnte. Elf Jahre lang hatte ich nicht gespielt, nun setzte ich 23 Millionen auf Entenfleisch. Ein Jahr zuvor war durch die Vogelgrippe viel Geflügel gekeult worden. Kaum hatte ich tausende Tonnen Entenfleisch erworben, brach die Vogel-Pest aus und ließ die Geflügelfleischpreise in astronomische Höhen fliegen. aus 23 Millionen wurden 234 Millionen. Das reichte, um mit Krediten und viel Engagement der alten Crew die Entenpreis aufzubauen. Insgesamt brauchten wir 400 Millionen Euro.“
„Aber jetzt“, sagte Inge, „sind die Versicherungen hinter uns her, weil sie ihre Kredite in den Wind geschossen sehen.“
„Ufal ist der nächste“, sagte Gerd, „der ist auf dem Flug um den Sirius zu uns gekommen.“
Ufal hatte inzwischen eine saure Gurke und einen halben Teller Lapskaus gefuttert. Nun hing er genau in der Mitte des Tisches an der Decke, wie immer mit dem Kopf nach unten, und sprach:
„Ich heiße …“ Wieder ertönte das kurze Knacken, „und nenne mich für Euch: Ufal. Mein Name bedeutet: ‚Meidet Arbeit mit Magie.‘ Ich komme vom großen Mond des Siriusplaneten und bin Ober-Hoch-Groß-Meister der Magie. Ich war gerade zu Haus, als Ihr daran vorbeiflogt und den Sirius umrundetet. Ihr hattet erkannt, dass auf dem großen Mond des Sirius-Planeten die Luft für Menschen atembar ist, konntet aber nicht lange bleiben. Meine Ohren haben kräftig gezittert, als ich das außersirianische Raumschiff sah. Daran erkannte ich, dass es die Möglichkeit für frische Magie geben musste, denn mit meinen Ohren spüre ich Magiepotentiale auf. Bei Willi haben sie einen Summton abgegeben, und das heißt: Viel magisches Potential. Ich bin mit: Elisabeth, Eric, Gerd, Gitte, John und Inge zur Erde mitgeflogen und habe mich dort umgesehen. Ich war furchtbar enttäuscht, bis heute, an meinem Geburtstag, den wir noch gebührend feiern müssen, denn ich werde heute 11110 Jahre alt.“
„Willi, Du musst noch“, sagte Gerd.
Meine Vorstellung begann mit den Worten: „Ich bin ein verkrachter Wissenschaftler, Psychologe. …“ Ich erzählte alles, was im Anfang des ersten Kapitels gesagt wurde. Nichts ließ ich aus, nicht einmal die Affaire mit Marte.
„Du passt zu uns“, sagte Elisabeth, „mit Dir sind wir perfekt.“
„Da kommt unser Zeppelin“, kündigte Eric an, „Den hab ich beim CIA bestellt. Er wird200 m über dem Boden stillstehen. Wir müssen uns alle einzeln in die Gondel aufseilen lassen.“
Und so geschah es auch. Ufal flog selbständig als erster in die Gondel. Kaum zehn Minuten später schwebten wir Richtung Amrum.
Gegen 21:30 Uhr erreichten wir die Große Freiheit, in der Tat ein riesiges Schiff, das einige Kilometer vor Amrums Küste ankerte. Der Zeppelin blieb 200 m über dem Schiff stehen, und jeder von uns wurde einzeln in einem Korb aufs Schiffsoberdeck abgeseilt.
Das Schiff maß vom Heck zum Bug 1000 m und war am Heck über 600 m breit. Auf dessen Oberdeck hing, mit starken Hanfseilen an den Bordwänden vertäut, eine Kugel von 150 m Durchmesser: die Entenpreis.
Ufal war bereits in der Entenpreis und bediente eine Fähre, die mitten aus dieser heraus aufs Deck glitt. Wieder wurde jeder einzeln nach oben gehieft. Die Fähre sah aus wie ein großer Metalltopf, der fest verschlossen wurde, sobald jemand darin war. Die Luft darin war denkbar schlecht. Doch nach kaum fünf Minuten war die Fahrt ins Raumschiff für alle vorbei.
Die Entenpreis bestand aus drei ineinander liegenden Metallkugeln: die äußere mit einem Durchmesser von 150m war mit Nüchternbier gefüllt, die mittlere mit 40m Durchmesser enthielt 99,6 prozentigen Alkohol, die dritte mit 25m Durchmesser die Maschinen und Wohnräume. Alle Räume waren mit festen Vorhängen aus Hanffasern voneinander getrennt. Diese waren so geflochten, dass man in jedem einzelnen Raum nicht hören oder sehen konnte, was in den anderen geschah, es sei denn, man veranstaltete gehörigen Lärm.
„Willkommen an Bord“, sagte Kaptein John, wie wir ihn ab jetzt alle nannten. Die ganze Crew stand im großen Saal versammelt, einem runden Raum mit 5 m Durchmesser.
Adolf drückte einen Knopf nieder. Sofort fuhren bequeme Sitze aus der Wand, auf denen wir uns niederließen und festgeschnallt wurden. Die Sitzflächen passten sich unseren Körperformen an. Alle saßen wir um einen runden Tisch herum, und auf dem erschienen Halb-Liter-Becher gefüllt mit fast reinem Alkohol.
„Auf Ufal“, sprach Kaptain John, „unseren Ältesten.“ „Happy Birthday to you“, sangen wir alle zusammen. „Ex“, sprach Kaptain John, und so geschah es auch. Der Trunk war so scharf, dass er anders als geschlungen kaum herunterzubringen war.
Ein zweites Glas folgte; diesmal tranken wir auf eine glückliche Reise.
Wieder wurden die Gläser gefüllt, diesmal mit einer anderen Flüssigkeit.
„Für die Neuen: Das muss sein“, sagte Inge, „Das neue Nüchternbier hat neun Prozent Antialkohol. Eben hat jeder von uns gut einen Liter reinen Alkohol geschluckt. Damit Ihr genug Antialkohol intus bekommt, um den Alkohol in Energie zu verwandeln, müsst Ihr deshalb so fix wie möglich elf Gläser Nüchternbier leeren. Los geht’s. Trinken wir auf eine glückliche Wiederkehr!“
Das Nüchternbier war träger Schaum, schmeckte bitterer als Galle und hinterließ einen Brechreiz. Außerdem war es giftgrün, so dass kein normaler Mensch es ohne weiteres anfassen oder gar sich freiwillig einverleiben würde.
"Haben wir nicht beim Lapskaus schon ordentlich gebechert?", fragte ich mich, "und nun in dieser Geschwindigkeit diese Unmengen von Alkohol? Klar müssen wir das mit Nüchternbier neutralisieren, soll es nicht beim Start zur absoluten Katastrophe für uns alle — wahrscheinlich auch für die Umgebung von Schiff und Raumschiff — kommen." Um das zu verhindern, schlang ich tapfer Becher auf Becher des scheußlichen Nüchternbieres in mich hinein. Der elfte wurde nur noch zur Hälfte gefüllt. Jedem von uns hatte Ufal mit Magie ein Alkohol-Antialkohol-Messgerät angeschlossen. Das funktioniert ähnlich wie ein Zuckermessgerät. Es wird mit einer Nadel in die Blutbahn gestoßen und misst dort die Konzentration von Alkohol und Antialkohol.
Gut eine Stunde war vergangen. Der Alkohol begann zu wirken. Bei diesen Mengen würde ich in wenigen Minuten sturzbetrunken und wahrscheinlich im Rausche eingeschlafen sein.
Doch falsch gedacht: Wenige Minuten später klärte sich mein Wahrnehmungsvermögen ebenso wie mein Verstand. Ich spürte Riesenkräfte in mir. Würde ich nicht bald etwas zu tun kriegen, würde ich entweder die ganze Frauenwelt auf diesem Raumschiff mehrfach vernaschen oder das Raumschiff zu Klump zerschlagen. Den andern schien es ähnlich zu ergehen.
„Startsequenz einleiten“, sprach Kaptain John, „Legt die Standard-Raumanzüge unter den Sitzen an.“.
Und so geschah es auch. Der Raumanzug wog 100 kg; den anzulegen, hätte mich normalerweise überfordert. Nun aber zog ich ihn an, als wäre er nur etwas zu eng geschnitten.
Gerd zeigte mir danach, welche Hebel ich niederdrücken sollte, und sagte: „Bloß immer weiter draufdrücken!“
„Verflucht“, rief Inge. Sie überwachte, was außen vor sich ging, und half beim Steuern. „Die Versicherungen haben uns ein Mach-zwölf-schnelles Flugzeug hinterhergeschickt.“
„KGB“, mit einem Lächeln sprach Schulamid weiter „Die hängen wir mühelos ab.“ „Willi, drück an Deinem Platz mit den Füßen auf die roten Punkte. Das sind die dreieckigen Platten, die spürst Du.“ Eric hatte gesprochen. Ein Nebel bildete sich ums Raumschiff, als ich nach wenigen Sekunden die Dreiecke fand und sie mit allen Kräften der Füße traktierte. „Das wird uns noch etwas mehr Zeit verschaffen. Und jetzt zieht die Raumanzüge aus, steckt Eure Dummys hinein und dann schnell raus mit denen.“
Kaum eine Minute später schoss die Entenpreis nach oben. Wir waren auf den Sitzen fixiert und in unseren Haltungen erstarrt, so stark war der Druck. Die Dummys mit unseren sicher furchtbar teuren Raumanzügen trudelten mittlerweile abwärts.
Mit Mach 13 ging’s aufwärts. Kaum drei Minuten später waren wir im Weltraum. Nun schaltete sich der überlichtschnelle Antrieb ein.
Ein Ruck fuhr durchs Raumschiff. Die ganze Umgebung schwirrte: Luft, der Sitz, selbst meine eigenen Sehnen, Muskel und Knochen.
„Daran gewöhnst Du Dich, Willi“, sagte Inge lächelnd, „in gut drei Tagen merkst Du das nicht mehr. Das ist so ähnlich wie bei der Seekrankheit.“
„Es klappt!“ Adolf rief im Triumph, „Die Nüchternbiermischung hat so viel Antialkohol, dass wir gleich auf Lichtgeschwindigkeit kommen und dann Energie entziehen müssen, um uns im Anti-Raum auf mehr als Lichtgeschwindigkeit zu bewegen. Wir können mit der entzogenen Energie alle unsere Maschinen laufen lassen, das Schiff warmhalten, mengenweise Wasser und Strom für unsere Pflanzen nutzen und so vielleicht in sechs Wochen schon die ersten Sojasprossen ernten. Bei all dem kriegen wir das Schiff auf vier Huhn, also vierfache Lichtgeschwindigkeit. Da brauchen wir zum Sirius nur noch 13 Monate statt 26, wie bei der ersten Reise!“
„Die Sonne ist gleich nicht mehr zu sehen“, sagte Inge, „Ade, Du unser Heimatstern. Mögen wir Dich in fünf Jahren gesund und munter wiedersehen.“
Ich musste in den nächsten Wochen hart arbeiten: Ständig gab es Übungen. Außerdem galt es, Adolf bei der Herstellung unserer Raumanzüge zu unterstützen.
Zwei Wochen später waren alle Raumanzüge fertig. Ausgerechnet ich musste das Raumschiff verlassen und mich angeseilt an dessen Außenfläche entlangtasten, um Beschädigungen des Rumpfes aufzuspüren. Mein Leib steckte im neuen Raumanzug; Adolf hatte für jeden von uns einen in Maßarbeit angefertigt. Er enthielt Druck-, Wärme-, Kälte- und Schmerzpunkte. Wir trugen ihn nackt; er wurde unsere zweite Haut. Inge hatte jeden von uns genau untersucht und für Adolf exakt jeden einzelnen Druck-, Wärme-, Kälte und Schmerzpunkt auf der Haut kartiert. Was die elektronischen Sensoren erfassten, wurde mit einem Funkgerät in Form magnetischer Wellen ans Gehirn geleitet und machte die Wahrnehmungen des Menschen aus, der den Anzug trug. Dieser war mit knapp 25 kg viel leichter als das Standardmodell am ersten Tag. Ich konnte mich darin recht unbeschwert, wenn auch stets angeseilt, am Raumschiff entlangbewegen, ohne bei -273° Außentemperatur zu erfrieren. Als ich herauskam, lag im Raumanzug die gefühlte Temperatur bei knapp 20°, sank aber nach und nach ab. Doch mindestens eine Stunde war die Arbeit außerhalb des Raumschiffes gut auszuhalten, wenn man sich bewegte. Nach 1 ½ Stunden hatte ich das Loch in der Außenwand der Außenkugel gefunden, ein Stecknadelkopf großes Loch, durch das der Antialkohol vereist herausdrückte, den wir doch so nötig brauchten. Wie ich das zumachen sollte, wusste ich nicht. Deshalb meldete ich mich und bat Gerd heraus. Der kam, sah, schweißte, und das Schiff war dichter als zuvor.
Mehr und mehr Routine stellte sich ein. War ich in den ersten Wochen nach gut 20 Stunden pro Tag an sieben Tagen die Woche völlig erschlagen in meiner 2,5m langen, 1,25m breiten und 1,0m hohen Koje eingeschlafen und nicht einmal dazu gekommen, meinen privaten Raum näher zu untersuchen, brauchte ich in den nächsten Wochen immer weniger Zeit für die Arbeit. Den anderen ging es ähnlich, denn Kaptein John reduzierte die Übungen auf ein Minimum.
In der Freizeit erkundete ich meine Koje. Im Prinzip war sie eine Hängematte. Über mir hatte Schulamid ihre Koje, unter mir Inge. Trotzdem gab es hier Privatsphäre. Unter der Schlafmatte barg der Raum die mitgebrachten Dinge, unter anderem meine Hörbücher, die ich auf einen Stick gezogen hatte. Doch da lag noch etwas, das nicht von mir stammte: Es waren drei Bücher. Jedes war 20 Zoll lang und ebenso breit. Die Seiten waren kaum dicker als Pergament. Auf jeder Seite befanden sich tastbare Zeichen. Nicht Brailleschrift bildete die Buchstaben, sondern erhabene Großbuchstaben der normalen Druckschrift, die unter Blinden „Schwarzschrift“ heißt,sowie griechische, ägyptische, babylonische, sumerische und Zeichen der Mayaschrift, alle etwas größer als die Zeichen im Spiel Namens: „Buchstabensuppe“.
Der erste Band trug auf dem Buchrücken die Worte :„UFAL: LEHRBUCH DER MAGIE. GRUNDLAGEN“ und hatte 222 Seiten. Auf der ersten Seite unter dem Buchdeckel begann das erste Kapitel mit der Überschrift: „Zur Energie für Magie“ mit den Worten:
MAGIE BESTEHT IN DER VERÄNDERUNG DER WELT DURCH WUNSCHKRAFT.
PRAKTISCH GEHT ES UM DEN EINSATZ DER KRAFT AN JENER STELLE DER MANIPULANDA, WELCHE BEI NIEDRIGSTEM ENERGIEVERBRAUCH DIE HÖCHSTE WIRKUNG ENTFALTET. DIE KRAFT EINES WUNSCHES BEMISST SICH IN NANO-NEWTON NACH: …
Es folgten Formeln und Ableitungen: 222 Ableitungen von 77 Formeln.
Neben der Berechnung der Kraftgröße ging es um die Errechnung des Vektors, der den erfolgreichen Einsatz der minimalen Wunschkraft garantieren sollte, sowie um die Einschätzung der Zeit, die unter den vorfindlichen Bedingungen ein bestimmter Energiebetrag an Wunschkraft zur Wirkung benötigen würde. Matrizenmathematik, Differenzial-, Integralrechnung und euklidische Geometrie, alles meine allergrößten Schwächen, wechselten sich auf den nächsten 123 Seiten munter ab. Kurz: kein Lesespaß!
Ich hätte das Ding auch nicht mehr angefasst, wäre es nicht immer langweiliger geworden, und hätte sich nicht etwas ergeben, das mich so sehr ausfüllte, dass ich für die notwendige Arbeit nur noch die absolut nötige Zeit verbrauchen wollte: Lust und sich entwickelnde Liebe.
Mit der Zeit kamen wir immer besser zurecht. Es gab Ärger zwischen uns, aber nie anhaltenden Verdruss.
Einmal hatte ich mich bei der Arbeit geringfügig verrechnet. Mein Ergebnis wich in der zweiten Kommastelle vom korrekten Wert ab. Schulamid wies mir den Fehler nach und verlangte sofortige Korrektur. „Pfennigfuchserin“, brummelte ich und begann mit der Arbeit. Beleidigt zog Schulamid ab.
Dass es nie zu Zank und Hader kam, lag an Elisabeth. Kaptein John führte das Kommando an Bord, doch sie hatte die heimliche Leitung. Als einzige voll qualifizierte Astronautin sagte oder zeigte sie uns, was wir tun mussten. Weil sie wegen ihrer körperlichen Voraussetzungen unsere Unterstützung brauchte, halfen wir ihr und fühlten uns alle bei ihr gebraucht und geschätzt.
Der Raumanzug, der ihr ermöglichte, minutenweise außen ohne Schmerzen zu arbeiten und darin alles zu empfinden, was eine menschliche Haut spüren kann, wurde ihre eigentliche Haut; nur zur Reinigung und vorm Einschlafen legte sie ihn ab.
Und sie ließ es nie an leiblichen Bekundungen ihrer — es war eben mehr als Wertschätzung — mangeln. Sie war, wie ich bald feststellte, polyamor und liebte buchstäblich uns alle, jeden nach seiner Art. Das ging so weit, dass sie immer wieder mit jedem von uns Sex hatte, wobei sie stets ihren Raumanzug anbehielt. Sie schlief stets mit einem von uns zur Zeit und bat ihn inständig darum, beim Liebesakt alle Kleidung abzulegen, damit die natürliche Haut alles spüren könnte. Jedem von uns schenkte sie das Gefühl, in diesem Augenblick der einzige zu sein, der jetzt wichtig für sie war. Dem wollte und konnte sich niemand von uns entziehen, auch ich nicht.
Ihr erzählte ich die Sache mit Schulamid und fragte sie, wie ich mich entschuldigen könnte. Sie meinte: „Erstmal gar nicht. Ich leg ein gutes Wort für Dich ein. Bleib zu Schulamid auf Abstand, entziehe Dich ihr aber nicht ganz. Du wirst sie noch nötig brauchen, wenn Du in Deinem Formelbuch weiterkommen willst.“
Ich beherzigte ihren Rat, und so verrannten zwei Wochen. Dann mussten Schulamid und ich wieder einmal auf die Suche nach Einschlägen von Materialteilen gehen, welche die Außenkugel zu zertrümmern drohten. An manchen Stellen im Weltraum gibt es solche Splitter und Kleinteile in größerer Menge, und schlug bei unserer Geschwindigkeit ein Kleinteil auf die Außenhaut, konnte es extreme Schäden anrichten.
Natürlich konnte das auch uns in unseren Anzügen treffen. Gab es Schäden, wusste jeder von uns, der diese beseitigen ging, dass dies sein letzter Gang sein konnte.
Und so wäre es auch beinahe gekommen. Wir waren durch einen Materialschwarm gebraust, der viele kleine Löcher in die Außenkugel geschlagen hatte. Alle außer Elisabeth, die dazu kaum in der Lage war, hatten in Zweierschichten Abdichtungsarbeiten ausgeführt; jedes Zweierteam arbeitete eine gute Stunde. Nun waren Schulamid und ich an der Reihe.
Gerd hatte mir den Umgang mit der Schweißpistole so gut beigebracht, dass ich diese fachgerecht bedienen konnte. Er war vielleicht geistig behindert, hatte aber eine Lammsgeduld. „Was macht Dich so geduldig?“, fragte ich ihn. „Ich weiß das doch von mir“, antwortete er, „manchmal braucht man hundert Versuche.“
Über 50 Minuten hatten Schulamid und ich intensiv gearbeitet und viele Löcher geflickt. Da wurde ihr Handschuh aufgeschnitten, als sie ein größeres Loch mit scharfen Kanten untersuchte. Ich hörte ihren Schrei und eilte sofort zu ihr. Wahrscheinlich würde Schulamid ihre Hand verlieren, vielleicht aber konnte ich ihr Leben retten. Also griff ich ihre Hand mit meinem Handschuh und drückte diese fest in meine Faust. Ich rief um Hilfe, und Elisabeth kam heraus, als ich mit der anderen Hand das Loch verschweißte.
„Bring sofort Schulamid zurück ins Schiff“, sprach sie zu mir, „Und lass Ufal die Wunde sehen. Mit etwas Glück kann er die Hand noch retten.“
So geschah es auch. Doch Ufal sagte, als er die mittlerweile bewusstlose untersucht hatte:„Das ist was für Inge. Ich sorge dafür, dass die Nerven richtig anwachsen.“ Er rief Inge und machte einige Knacklaute. Sie untersuchte Schulamid und verband ihre Hand.
„Willi hat Dir das Leben gerettet“, sagte sie zu Schulamid. „Ausgerechnet dieser Christ erweist sich als Freund des Volkes Israel“, antwortete diese lächelnd, denn sie war erwacht. „Ich möchte mich gern für die Sache vor zwei Wochen entschuldigen“, sagte ich mit Ernst in der Stimme. „Das hast Du längst getan. Frieden?“, erwiderte sie. „Frieden“, antwortete ich und reichte ihr die Hand, die sie mit ihrer heilen ergriff.
Elisabeth hatte der Einsatz außerhalb des Raumschiffes fast umgebracht, und daran fühlte ich mich schuldig. Schulamid und ich besuchten sie täglich mehrere Stunden. Beide halfen mir, die Mathematik im Zauberbuch zu verstehen, und bald gelang das auch.
Eine Woche später war ich mit Elisabeth, der es besser ging, allein. Sie fragte: „Wie geht’s mit Inge und Dir“ „Wir arbeiten gut zusammen.“ „Und hat sich während der Reise etwas geändert?“ „Naja, vor ein Paar Wochen, noch bevor ich das mit Schulamid verbockt habe, da haben wir uns bei der Arbeit lange und ausführlich unterhalten. Wir haben uns geneckt, und wir haben jeder dem anderen viel erzählt von dem, was jeder von uns erlebt hat. Manchmal sind Stunden vergangen, und Inge hat mir Vorträge über verschiedene Arten von Krankheiten gehalten, und wie man sie diagnostiziert. Sie hat mit mir darüber nachgedacht, wie ich als Blinder die Diagnose vornehmen könnte, und wo ich unbedingt sehende Hilfe brauche. Das hat mir gewaltig imponiert. Ich hab ihrer Stimme gelauscht und wie ein Luchs zugehört. Fast alles von dem, was sie mir erzählt hat, könnte ich mit etwas Nachdenken heute noch Wort für Wort wiedergeben.“
„Und jetzt“, bohrte Elisabeth weiter, „Schweigen wir meist bei der Arbeit.“
„Und daraus schließt Du, dass sie nichts mehr von Dir hält, stimmt's Willi?“ „Wahrscheinlich.“, antwortete ich ihr geknickt.
„Du bist über beide Ohren in Inge verliebt, nicht wahr?“, fragte Elisabeth und fuhr lächelnd fort: „Du denkst, dass Du es Dir durch Deinen Bock mit Schulamid auch noch mit ihrer Busenfreundin verdorben hast. Darum hast Du Dich in den letzten Wochen in Deine Matheformeln vergraben, die Du jetzt erst am Verstehen bist.“ „Stimmt“, knurrte ich beschämt und ertappt.
„Für deine Liebe zu Inge musst Du Dich nicht schämen. Ich glaube, Inge und Du, Ihr seid füreinander bestimmt.“
„Und was ist mit Dir, Elisabeth?“, „Willi, wirst Du mich noch lieben, wenn Du mit Inge zusammen bist?“ „Doch.“ „Ich bin sicher, dass Du mich lieben wirst. Ich habe Inge gebeten, mich zu untersuchen, wenn Du dabei bist. Fasst Euch doch einmal an, und fühlt, ob es Euch gut tut.“
Da kam Inge in die Krankenstation und wollte mich wegschicken. „Lass ihn dabei bleiben, und untersucht mich gemeinsam. Willi muss als Psychologe auch etwas vom Menschlichen Leib verstehen, denn der Mensch ist ein Gesamtkunstwerk.“
„Stimmt“, antwortete Inge. Ich schmolz dahin, als sie weitersprach: „Dass ich darauf selbst nicht gekommen bin. Dabei finde ich Willi so sympathisch.“
Also untersuchten wir Elisabeth, ich rein tastend, Inge auch sehend. Dabei zeigte mir Inge allerhand physiotherapeutische Techniken und musste mich anfassen. Neben den Bewegungen, auf die ich mich zunächst konzentrierte, fühlte ich ihre Berührungen. Bald stellte ich mich extra ungeschickt an, damit Inge mich korrigieren musste.
„Du kannst es doch besser“, rief sie aus, als ich mich auffällig tappsig benommen hatte, „gib zu, dass Du in mich verliebt bist.“
Ich nahm Inge in die Arme und flüsterte: „Inge, ich bin in Dich verliebt. Seit ich Dich auf dem Bahnhof Kiel das erste mal gehört habe, geht mir Deine Stimme nicht aus dem Kopf.“
„Jetzt habt endlich Sex“, rief Elisabeth, „macht einander glücklich!“
Inge hatte nach 36 Stunden Arbeit Anspruch auf volle 24 Stunden Frei. Ich dagegen sollte in sechs Stunden mit dem Dienst beginnen. Gemeinsam hatten wir sechs Stunden. So führte mich Inge in ihre Koje.
Leise entledigten wir uns der Kleidung und begannen mit dem leiblichen Teil der Liebe. Die Zeit verstrich im Taumel unserer Lust.
Nach einer kurzen Schlafphase mitten im Liebesspiel klingelte Inges Wecker. sie musste in 20 Minuten zum Dienst, und ich hatte meinen erfolgreich geschwänzt.
Als ich zum Waschraum schleichen wollte, um mich zu reinigen, legte sich eine schwere Hand auf meine Schulter. „Na“, grinste mich Kaptein John an, „Heute putzt Du das ganze Raumschiff! Dein Dienst endet, wenn alles blitzblank ist. Klar?“ „Jawohl Kaptein“, nuschelte ich.
Das würde mindestens 60 Stunden und alle Körperkräfte beanspruchen. Ich war aus dem siebenten Himmel auf die Erde gekracht!
„Zaubern hilft!“
Ufal hing wieder mal über uns rum. Wahrscheinlich hatte er den Zauber unserer Lust gespürt und sich so aufgehängt, dass er uns nicht störte, wohl aber nahe der Magiequelle war. Natürlich hatte er alles mitbekommen.
"Blöder Kerl", dachte ich. Gleich darauf fiel mir ein, wie Ufal mir vor gut drei Monaten den Tipp mit der Statistik gegeben hatte, und wie erfolgreich der gewesen war. Also dachte ich: "Einmal versuchen ist besser als Fluchen. Und sicher besser als 60 Stunden Dauerstress. Aber wie?"
Ich hatte mit Hilfe von Elisabeth und Schulamid das erste Kapitel durchgearbeitet und die Formeln intus. Nun galt es, dieses Wissen für den Putzzauber anzuwenden. Zusätzlich hatte ich mich mit den weiteren Kapiteln der Grundlagen befasst: der Alchemie der Magie sowie den Regeln zum Entwurf von Zaubersprüchen. Selbst den zweiten Band — die fortgeschrittene Magie — hatte ich zur Hälfte durchgearbeitet.
Also setzte ich mich an den PC und schrieb meine Berechnungen nieder. Vier Stunden vergingen, dann hatte ich die nötigen Kräfte und Vektoren berechnet.
Zwischendurch kam Gerd vorbei und sagte: „Kaptein John fragt sich, wann Du fertig bist. Du willst zaubern, nicht wahr?“ „Stimmt, Gerd.“ „Bin schon weg. Du hast ja so viel mit dem Zauberbuch gearbeitet. Das wird bestimmt was, Willi!“
Ich war mir dessen gar nicht sicher und überprüfte fast zwei Stunden lang meine Berechnungen. Alles schien zu stimmen.
Nun musste ich mich konzentrieren und das Ganze in einen Zauberspruch destillieren. Diesen musste ich dort mit aller Geisteskraft aussprechen, von wo der Zauber seinen Anfang nehmen sollte. Also ging ich in den Großen Saal und positionierte mich dort so genau wie möglich im Zentrum des Schiffes. "Irgendwas ist hier los", dachte ich, ließ mich jedoch nicht ablenken, weil ich keine Feindseligkeit spürte. Alle waren im Saal versammelt und erzählten mir später, was geschehen war:
Zwei Minuten lang stand ich erstarrt da. Dann sprach ich: „Ratzeputz.“ Ich verlor den Halt und sank auf den Boden.
Ein Wind fuhr durchs gesamte Raumschiff. Von überall her, auch aus den beiden äußeren Kugeln, sammelte sich Schmutz und flog in die Fähre. Dann schloss diese sich und strebte Richtung Ausgang. Die Außenplatte öffnete sich, der Inhalt der Fähre wurde mit großem Schwung in den Weltraum geworfen, und diese glitt sanft zurück. Das Ganze wiederholte sich siebenmal. Alle unsere Kleidungsstücke bis zur Unterhose hatten sich gebauscht, weil auch von dort und ebenso von der Haut alles hinweggeflogen war, was den Menschen ekelte oder schadete. Im biologischen Versuchslabor wurden sämtliche nicht benötigten Lebensformen aus dem Raumschiff expediert; das Labor samt all seinen Instrumenten wurde zu 100% steril!
Nach drei Minuten war alles überstanden.
„Willi hat den Rest des Tages und die Nacht frei“, verkündete Kaptein John. „Alles ist sauber.“
„Willi, das ist eine Eins in der praktischen Prüfung“, sprach Ufal, „zu Halloween findet die theoretische Prüfung statt. Hab heute richtig Spaß. Schlaf lange und fang ab Morgen an, zu wiederholen. Außerdem müssen wir das interkosmische Kommunizieren und die Regeln des Raum-Zeit-Kontinuums durchnehmen, die schwierigsten Formen der Magie. Die Obersten 77 wollen das abprüfen, um zu zeigen, dass Terra ein unmagischer Planet ist. Kaptein John, könntest Du die Dienstzeit von Willi bis Halloween halbieren, damit er eine Chance hat?“
„Jo“, sprach dieser, „Inges Schicht übernehme ich.“
Weiter zu Kapitel 3 Aufträge für Reisen in Zeit und Raum
Titelbild erstellt durch Content Nation mittels Stable Diffusion